Astrid Weinwurm-Wilhelm

Müsste ein Regierungsprogramm – und dabei spielt das Farbgemisch, aus dem es entstanden ist, keine Rolle – seine besten Eigenschaften im großen Freundschaftsbuch der Politik ausfüllen, würde »konkret« mit Sicherheit nicht dazugehören. »Zahlenaffin« auch nicht. Und tatsächlich bleibt auch das seit Kurzem vorliegende Regierungsprogramm von Türkis-Grün in vielen Teilen sehr vage. Aber eben nicht nur. Und genau deshalb haben wir uns die wichtigsten »Frauenthemen« etwas genauer angesehen und dabei auch Stimmen und Perspektiven von außerhalb der Redaktion eingeholt.

Der Überraschungseffekt

Für den größten Überraschungseffekt sorgte mit Sicherheit, dass die Frauenagenden künftig im Integrationsministerium angesiedelt sein sollen, das zu den ÖVP-Ministerien gehört. Viele hätten sie wohl eher in einem grünen Ministerium oder gar als eigenständiges Ministerium gesehen. So betont Lena Jäger, Projektleiterin beim Frauenvolksbegehren, in einem Interview mit dem Profil, dass Frauenthemen eine Querschnittsmaterie sind und unter anderem deshalb ein eigenes Ministerium sehr wichtig wäre. Auch das Netzwerk QBW – Queer Business Women zeigt sich über die Ansiedelung der Frauenagenden im Integrationsministerium wenig erfreut. »Das Megathema Integration und der mehrfach betonte »harte Kurs« in der Integrationspolitik von Sabine Raab lässt befürchten, dass Frauenagenden zu kurz kommen. Beim Integrationsthema in Kombination mit Frauenagenden geht es vielfach um Themen wie patriarchale Strukturen, Frauenmorde und Wertethemen. Frauenthemen sind natürlich auch im Integrationsbereich wichtig, mindestens genauso wichtig sind aber auch alleinstehende Themen ohne Integrations-, Asyl- und Fluchterfahrungskontexte«, so die Präsidentin des Netzwerks Astrid Weinwurm-Wilhelm. Auch wenn die Koppelung auf den ersten Blick überraschend anmutet, sieht Manuela Vollmann, Geschäftsführerin des ABZ*Austria, die Verbindung aber nicht nur negativ: »Natürlich dürfen Frauenagenden nicht auf Integrationsagenden reduziert werden, allerdings haben wir in unserer Arbeit beim ABZ*Austria erkannt, dass Frauen Integrationsmotoren sind. Wenn man sich hier den Frauen nicht widmet, dann wird das Thema Integration gerade bei den nachfolgenden Generationen immer schwieriger.

Verena Florian

Frauenpolitik ist Gleichstellungspolitik

Besonders begrüßenswert ist, dass Frauenpolitik im neuen Regierungsprogramm als Gleichstellungspolitik adressiert wird. »So eindeutig wurde das bislang noch nie dargestellt«, ergänzt Vollmann. Ein Aspekt, der auch von Autorin (»Mut zum Rollentausch«) und Coach Verena Florian positiv hervorgehoben wird: »Als Ziel wird das Aufbrechen von Rollenbildern bei Frauen und Männern genannt, unbezahlte Arbeit soll sichtbar gemacht werden, die Maßnahmen für die Gleichberechtigung von Frauen klingen vernünftig. Aber auch Maßnahmen für Einpersonen-UnternehmerInnen werden vielen Frauen zugute kommen, sind doch die meisten EPUs Frauen. Ich bin allerdings sehr neugierig, was wirklich umgesetzt wird. Dazu braucht es die wachsame Zivilgesellschaft und Initiativen, die hier immer wieder hinschauen und einfordern.« Beim Thema Quote wird das Programm konkret und fordert eine 40-prozentige Frauenquote in jedem einzelnen Aufsichtsrat von Unternehmen in öffentlicher Hand. Der Bund soll hier mit gutem Beispiel für die Privatwirtschaft voranschreiten. Wilhelm kritisiert, dass nur eine Quote in allen börsennotierten Unternehmen auch wirklich spürbar würde. Und zwar »ohne diese vielen Ausnahmen und Einschränkungen, die es derzeit gibt.« Auch Manuela Vollmann findet die 40-Prozentmarke nur wenig ambitioniert und sieht darin eher eine Politik der zu kleinen Schritte. »Schon lange wünschen wir uns, dass die Quote zum Beispiel auch auf Vorstände ausgeweitet wird«, fasst sie zusammen.

Manuela Vollmann

Neubewertung von Arbeit

Als durch und durch positiv sieht nicht nur Manuela Vollmann das Bekenntnis der Regierung zu mehr Geld für die Frauenpolitik, das – zwar unbeziffert – im Programm enthalten ist. Die Aufstockung sollte ihrer Meinung nach allerdings substantiell ausfallen. Sehr erfreut ist sie auch darüber, dass die Zeitverwendungsstudie ihren Weg ins Programm gefunden hat. »Die Umverteilung und die Neubewertung von Arbeit in Bezug auf Erwerbsarbeit und unbezahlte Arbeit ist ein ganz wesentlicher Punkt für die Gleichstellung und dafür braucht man Zahlen und aktuelle Daten. Das muss einfach evidenzbasiert passieren. Erwerbsarbeit und unbezahlte Arbeit müssen zwischen Männern und Frauen neu verteilt werden, denn daraus ergibt sich eine große Chance. Auch um Altersarmut bei Frauen zu reduzieren«, fasst Vollmann zusammen. Begrüßenswert findet sie auch die Info-Kampagne zum Thema Teilzeit, genauso wie die Studie zu Stadt- und Landflucht: »Landflucht ist ein Frauenthema, deshalb ist es sehr wichtig dort hinzuschauen. Standortentwicklung aus der Perspektive der Frauenpolitik zu betrachten, kann ein sehr guter Weg sein. Wir sehen das Thema Vereinbarkeit durchaus auch als Teil der Standort- und Regionalpolitik.«

Die Frage nach der Evidenz

Maßnahmen wie Einkommensberichte, Handlungsanleitungen für Unternehmen zur Sicherstellung von Equal Pay oder das Equal-Pay-Siegel seien zwar ebenfalls begrüßenswert, für Astrid Weinwurm-Wilhelm aber zu vage formuliert. Im Gegensatz zu Manuela Vollmann sieht sie außerdem das automatische Pensionssplitting eher in einem kritischen Licht: »Es bedeutet zwar für den Moment, dass Frauen für die Betreuungszeiten besser gestellt sind, als ohne Einkommen, verstärkt aber auch die Abhängigkeit vom Einkommen des Partners und die Tendenz zu Hause zu bleiben.« Auch den Papamonat sähe sie lieber in ein längerfristig gedachtes Konstrukt zum Thema Karenzmanagement eingebettet. »Wichtig wäre, sich zu überlegen, welche Anreize geschaffen werden können, damit Männer vermehrt in Elternteilzeit gehen.«

Kritisch sieht Manuela Vollmann außerdem einen Punkt, der nicht Kapitel »Frauen«, sondern im Abschnitt »Schnittstelle Arbeitsmarkt / Digitalisierung / Klimaschutz / Zukunftsherausforderungen« des Regierungsprogramms enthalten ist. Darin ist die »evidenzbasierte und gerechte Verteilung der Fördermittel im AMS auf Frauen und Männer« vorgesehen. Und genau das sei ihrer Meinung nach höchst problematisch: »Die wichtige Frage ist, was die Evidenz ist. Sind es die Arbeitslosenzahlen oder ist es die reale, strukturelle Diskriminierung am Arbeitsmarkt. Aussagekräftig wäre nämlich nur Letzteres.«

Krisztina Rozgonyi © Monika Saulich

Gleichstellung in den Medien

Krisztina Rozgonyi ist ist Assistenzprofessorin am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaften der Universität Wien und zudem als Senior Regulatory und Legal/Policy Adviser tätig. Auch sie hebt positiv hervor, dass laut Regierungsprogramm »angelernte Rollen und Rollenverhältnisse von Frauen und Männer aufgegriffen werden müssen«, fügt allerdings hinzu, dass den österreichischen Medien in Bezug darauf eine maßgebliche Rolle zukommen muss. »If this were a major objective of the new Austrian government, then the significant role played by the media in Austria in shaping perceptions and understanding of gender and gender relations in the society should be also addressed«, so Rozgonyi. Immer noch sind es vor allem männliche Stimmen, die die wichtigsten (medien-)politischen Diskurse des Landes dominieren. »Therefore, the Regierungsprogramm 2020-2024 should apply the declared objectives towards ‘Medien’ and identify media-related policies, laws and regulations that enable women to more fully participate in media operations«, sagt sie. Rozgonyi wünscht sich deshalb unter anderem eine gender-sensitive Überprüfung des Förderwesens und deutlich mehr Aufmerksamkeit darauf, dass sich Hasskommentare im Netz verstärkt gegen Frauen richten. Außerdem fände sie es wichtig, dass auch im Bereich der Filmförderung Quoten zum Einsatz kämen und Frauen in der gesamten Medienlandschaft verstärkt in Top-Positionen eingesetzt würden.