Würden Sie Ihr Aufgabengebiet als Arbeitsmedizinerin kurz für uns umreißen?

Sehr gerne. In Österreich ist es ja so, dass jedes Unternehmen, egal wie groß es ist, arbeitsmedizinische Leistungen in Anspruch nehmen muss. Das ist gesetzlich geregelt. Und auch der Tätigkeitsbereich der Arbeitsmedizinerin oder des Arbeitsmediziners ist gesetzlich festgeschrieben. So haben wir zum Beispiel die Aufgabe, die Wechselwirkungen von Erwerbsarbeit, Gesundheit und Krankheit zu beobachten, körperliche und psychische Belastungen in Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit festzustellen und zu dokumentieren. Immer mit dem Ziel, schädliche Einflüsse auf die Gesundheit mittels guter Ideen und Konzepte möglichst gering zu halten. Das betrifft bei uns nicht nur all unsere MitarbeiterInnen an den Bildschirmen, sondern auch unsere MitarbeiterInnen in den Filialen und unsere Tochterfirmen. Aber natürlich auch die Küchen und die Gastronomie für unsere MitarbeiterInnen. Das Arbeitsfeld ist also ein unglaublich heterogenes. Es gibt viele verschiedene Schwerpunkte und dadurch auch unterschiedliche gesundheitliche Aspekte, die es zu beachten gilt. In Zeiten, die nicht Corona-Pandemie assoziiert sind, kümmern wir uns also um Dinge wie Ergonomie, aber auch um Themen wie Lärmschutz, psychische Belastungen, Ernährung, Bewegung wie auch um die Bedürfnisse besonders schutzbedürftiger Gruppen. Bei insgesamt 8.500 MitarbeiterInnen ist Gesundheit am Arbeitsplatz für uns natürlich ein riesengroßes Thema.

»Bei so einer großen Anzahl an MitarbeiterInnen muss das Thema Gesundheit gemanagt werden.«

Wie haben Sie den Beginn der Corona-Krise erlebt? Welche Maßnahmen waren vor allem zu Beginn am wichtigsten, um den Menschen ihre Ängste ein wenig zu nehmen?

Wir haben bereits Ende Februar damit begonnen, diesbezüglich sehr intensiv mit unseren MitarbeiterInnen zu kommunizieren. Damals waren erst sehr wenige Informationen verfügbar, man wusste noch nicht so wirklich viel über das Virus. In dieser frühen Phase war es uns sehr wichtig, den Campus mit seinen insgesamt rund 4.000 Menschen, rechtzeitig zu schützen. In dieser Anfangsphase waren wir außerdem ständig darum bemüht, wirklich evidenzbasierte, vernünftige Informationen zu finden und diese den MitarbeiterInnen verständlich zu kommunizieren. In einem ersten Schritt haben wir dann durchgesetzt, dass niemand mit einem Infekt, egal welcher Art, zur Arbeit kommt. Das hat sehr gut funktioniert. Wir haben dann auch sehr rasch engen Kontakt zu den zuständigen Behörden aufgenommen. Bei so einer großen Anzahl an MitarbeiterInnen muss das Thema Gesundheit gemanagt werden. Schnell war klar, dass die Beantwortung so vieler Einzelfragen in einer so brisanten Situation nach einer neuen Strategie verlangt. Wir haben also eine Hotline eingerichtet, bei der alle MitarbeiterInnen täglich ihre gesundheitlichen Fragen mit einem Arzt besprechen konnten. Ab dem 16. März sind alle Campus-MitarbeiterInnen dann ins Home Office übersiedelt. Auch das hat wirklich gut funktioniert. Das war gleichzeitig auch jener Zeitpunkt, ab dem wir unseren expliziten Schwerpunkt auf das Wohlergehen der KollegInnen im Vertrieb gelegt haben, weil hier natürlich vermehrt Ängste hochkamen. Andererseits durften wir auch unsere MitarbeiterInnen im Home Office nicht vergessen, weil hier zu den gesundheitlichen Anliegen auch vermehrt soziale Themen dazukamen. Unser übergeordnetes Ziel war es, all unseren MitarbeiterInnen in diesen unsicheren Zeiten möglichst viel Sicherheit zu vermitteln.

Eva Höltl, Arbeitsmedizinerin und Leiterin des Health Center der Erste Group Bank AG

Könnten Sie das wichtige Thema der Transparenz noch einmal näher erläutern?

Bei so vielen MitarbeiterInnen unterscheiden sich die einzelnen Lebenswelten natürlich stark. Auch die Sorgen sind von MitarbeiterIn zu MitarbeiterIn andere. Zudem war vieles gerade zu Beginn noch sehr unklar. Ich erinnere mich noch gut an diese erste Zeit, in der die Informationen noch spärlich waren und man einfach nicht wusste, wie es wirklich weitergehen wird. Eine große Herausforderung, neben dem Campus, den wir unbedingt schützen wollten, war auch, dass wir mit unseren Filialen auch zu den systemrelevanten Infrastrukturen gehören. Die Filialen mussten also offen bleiben. Wir wussten, dass diese MitarbeiterInnen Kundenkontakt haben und die Filialen weiterhin bespielen müssen. Da gab es verständlicherweise auch sehr viele Sorgen.

Sowohl bei den Teams am Campus als auch bei den MitarbeiterInnen in den Filialen war Transparenz also ein zentraler Punkt. Die Informationen dazu, warum einzelne Schritte gesetzt werden mussten, sollten möglichst transparent an die Teams gelangen. Natürlich gab es unglaublich viele Einzelfragen und es war eine große Herausforderung evidenzbasierte Antworten geben zu können.

Deshalb dann auch sehr schnell das Einrichten einer eigenen Hotline?

Ja, genau. Bei unserer eigenen Hotline war von 8 bis 18 Uhr immer einer unserer Ärzte anwesend, auch an Samstagen und Sonntagen. Ich denke, dass das eine zentrale Leistung war, weil die Menschen über ihre Ängste sprechen wollten.

»Natürlich ist es eine Gratwanderung, weil ich weiß, dass eine mehrwöchige Isolation große Auswirkungen hat.«

Welche Vorkehrungen oder Maßnahmen sollten Unternehmen treffen, um ihren MitarbeiterInnen einen halbwegs angenehmen Wiedereinstieg ins »normale« Office-Leben zu ermöglichen?

Ich denke, dass es sehr schwierig ist, in diesem Zusammenhang überhaupt von Normalität zu sprechen, weil wir in den nächsten Monaten ein Leben mit dem Virus planen müssen. Es war deshalb niemals unser Ziel, die Menschen so rasch wie möglich wieder auf den Campus zu holen. Wir werden eher versuchen den Campus so wenig wie möglich zu besiedeln. Infektionsschutz ist nach wie vor das Gebot der Stunde. Und der funktioniert am effizientesten, wenn man die Kontakte gering hält. Wir müssten sonst Infektionsschutzmaßnahmen treffen, die die Anwesenheit am Campus sehr unbequem machen würden. Bei mehreren tausend Menschen ist das einfach so. Natürlich ist es eine Gratwanderung, weil ich weiß, dass eine mehrwöchige Isolation große Auswirkungen hat. Für unsere MitarbeiterInnen mit Kindern ist das zum Beispiel eine riesige Herausforderung und kratzt definitiv an der Grenze des Erträglichen. Deshalb glaube ich, dass es gut ist, wenn man es den MitarbeiterInnen, sobald es vertretbar und möglich ist, in einem streng festgelegten Rahmen wieder ermöglicht zurückzukommen – allerdings nur in sehr eingeschränktem Maße. Aber auch hier sind Kommunikation und Transparenz der Schlüssel. Um die nächsten Monate der Normalität mit dem Virus eine gewisse Lebens- und Arbeitsqualität erreichern zu können, müssen wir sehr genau kommunizieren, warum wir was tun. Nur dann ist für die KollegInnen verständlich, warum man welche Maßnahmen setzt, nur dann gibt es auch die Bereitschaft jedes Einzelnen, daran mitzuwirken.

Ich sehe meine Aufgabe während dieser Zeit also vor allem darin, das Leben mit dem Virus für die verschiedensten Gruppen unserer MitarbeiterInnen so angenehm wie möglich und gleichzeitig so sicher wie möglich zu gestalten. Da gibt es schon einen gewissen Spielraum, aber der ist nicht ganz selbsterklärend. Außerdem ist es ein ständiges Adaptieren, weil dauernd neue Erkenntnisse dazukommen.

Was hat Sie während dieser ganzen Zeit Ihre positive Einstellung nicht verlieren lassen? Und was hat Ihnen dabei geholfen zuversichtlich in die Zukunft zu schauen?

Für uns Mediziner ist definitiv positiv, dass das Wissen über das Virus mit einer erstaunlichen Geschwindigkeit gewachsen ist. Auch wenn es allen scheinbar zu langsam geht. Außerdem gibt es gebündelte Anstrengungen, weil Corona in der weltweiten Forschung momentan höchste Priorität hat. Deshalb bin ich auch zuversichtlich, dass es in einer doch sehr akzeptablen Zeit eine Therapie oder Impfung geben wird. Auch die aktuellen Zahlen stimmen mich positiv, weil sie zeigen, dass die klassische Pandemie-Methode des Containments, sofern man sie rechtzeitig einsetzt, funktioniert. Ein bekanntes Konzept hat sich bewährt und dazu geführt, dass wir derzeit vor einer beherrschbaren Situation stehen. Da mitwirken zu können, in aller Vorsicht und Aufmerksamkeit, und das begleiten zu dürfen, ist eine schöne Aufgabe. Auch wenn es eine sehr herausfordernde Zeit war und ist.